Entgegen des Zeitflusses
Etwas tiefer in die Geschichte einer Stadt oder eines Ortes einzutauchen ist gar nicht so einfach, im Fall der Stadt Prag und ihrer mehr als tausendjährigen Geschichte ist so eine Aufgabe schwerer als manches andere. Ihre Geschichte wurde durch alle großen Geschehnisse des letzten Millenniums geprägt. Für die Vereinfachung dieses Beitrags haben wir uns entschlossen, entgegen des Zeitflusses zu laufen und am „Ende“ zu beginnen – ab der Gegenwart oder besser gesagt ab der nicht zu weit zurück liegenden Vergangenheit, die für unsere Wahrnehmung verständlicher sind.
Tag Eins – Prager Neustadt – um den Wenzelsplatz herum – heutzutage und auch in den vergangenen Zeiten
Das Herz der modernen Stadt ist der Wenzelsplatz, der auch das Zentrum des Stadtviertels mit dem Namen Prager Neustadt ist. Aber Vorsicht, auch wenn wir diese als „Neue Stadt“ nennen, lassen wir uns nicht in die irre führen. Der Begriff stammt aus dem 14. Jahrhundert, genau gesagt aus dem Jahr 1348, wo durch Karl V., die Gründungsurkunde der Stadt ausgefertigt wurde. Bald sind hierher vor allem verschiedene Handwerker eingezogen (insbesondere solche, deren Tätigkeit laut und stinkend und so den Stadtbürgern der Altstadt unliebsam war). Der heutige Stand der Topografie – Stadtplätze, Straßen und andere Komponenten – stammt größtenteils aus dem 14. Jahrhundert. Es gab hier genug Platz für große Märkte – der Wenzelsplatz diente als ein Pferdemarkt, der Karlsplatz als Viehmarkt – und auch relativ breite Gassen (es war nötig die Viehherden irgendwo zu treiben, die Nahrungsmittel zu befördern), das Ganze hat die Grundrisse von dem heutigen Aussehen geformt.
Die Architektur der Stadtmitte und deren Umgebung ist wie ein Spiegel der Entwicklung des Landes im 19. und im 20. Jahrhundert
Die meisten Häuser, um die wir heutzutage in der Neustadt herumlaufen, wurden im 19. oder im 20. Jahrhundert gebaut und stellen somit die Entwicklung des Landes der letzten zweihundert Jahren dar. Von den historischen Architekturstilen, die sich tendenziell “rückwärts“ orientiert haben – wie Neologismus, Neorenaissance oder Neoklassizismus, sind dann die “klugen“ Architekten zu den Stilen übergegangen, die den Stolz und die Selbständigkeit der jungen tschechoslowakischen Republik ausgedrückt haben – Kubismus, Rondokubismus, Funktionalismus, und nach und nach zu den eigenen Baustilen der kommunistischen Tschechoslowakei – zu dem sozialistischen Realismus oder Brutalismus. Der Wenzelsplatz als solches ist ein Paradebeispiel der Kombination von allen solchen Baustilen. Das Neorenaissance Gebäude des National Museums ist auf dem Weg nach unten konfrontiert mit den Gebäuden von allen bisher genannten Stilen – bemerkenswert als Beispiel sind das schöne Rezessionsgebäude des Hotels Europa, das funktionalistische Gebäude Koruna Palast und das gegenüber stehende Kaufhaus Baťa oder das neofunktionalistisches, nach dem 2. Weltkrieg entstandenes Fashion Haus. Ein Unikum ist zweifellos auch das brutalistische Gebäude des sozialistischen Staates – “Federální shromáždění“, heute ein Teil des Nationalmuseums.
Ein Ort des Menschentreffs – im guten und auch im schlechten Sinne
Der Wenzelsplatz als Spiegel der heutigen Geschichte des Landes – oft wird hier durch die Versammlung des Volkes ausgedrückt – das letzte Mal bei den Demonstrationen durch das Verein „Milion chvilek (Millionen Momente)“, oder auch im Jahr 1989, wo gerade von hier aus das erste Mal Václav Havel zum Volk gesprochen hatte, hier hat sich Jan Palach im Jahr 1969 aus politischem Protest selbst verbrannt. Der Platz ist aber auch ein Zentrum der düsteren Seiten der Gesellschaft – das bunte Leben der Night Bars, Cassinos und Klubs ist voll mit Drogen und allen anderen sozial unangenehmen Erscheinungen der Gesellschaft.

Den ersten Tag durch Prag können Sie mit einem Spaziergang auf der Nationalallee (Národní třída) beenden, sich eine Exposition anschauen, die dem ersten Novembertag der Revolution aus dem Jahr 1989 gewidmet ist, sich die Architektur der Gebäuden bis zum Nationaltheater anschauen und dann das selbe auf der gegenüberliegenden Seite tun, die sogenannte Strasse „Na příkopech“ bis zum Gemeindehaus durchlaufen, eine Perle der Prager Sezession, wo man auch die Möglichkeit einer vorher bestellten kommentierten Führung hätte. Sie gewinnen somit einen relativ umfassenden Überblick über die Entwicklung der tschechischen Gesellschaft der letzten 150 Jahre.
Tag Zwei – der nächste Schritt zurück – Prager Altstadt
Es ist durchaus möglich, dass Sie die Grenzen zwischen den beiden Stadtvierteln – Alt- und Neustadt – gar nicht bemerken, da der altstädtische Schutzwall im 19. Jahrhundert abgerissen wurde, um der sich schnell entwickelnden Stadt Platz zu machen. Wenn man aber gut aufpasst, bemerkt man leicht den Unterschied in der Art der Stadtbebauung. Die Altstadt ist voll mit engen und verwinkelten Gassen und Häusern, deren Baudatum in der Regel bis in das Mittelalter zurückgeht. Hier findet man viele Kirchen und Kapellen und ähnliche Gebäude mit ursprünglich spirituellem Charakter. Dieser Stadtteil ist bereits im frühen Mittelalter um den Markt herum am östlichen Ufer der Moldau entstanden, der mit großer Wahrscheinlichkeit bereits im 10. Jahrhundert stattgefunden hat. Heute befindet sich an diesen Orten der Altstädterring. Anfangs standen hier freistehende Steinhäuser, eigentlich kleine Festungen, als Beispiel das berühmte Haus zur steinernen Glocke. Im Laufe der Zeit haben sich Reihen an Häusern gebildet und so wurden die ersten Straßen geformt: zum Fluss, zur Prager Burg, zu Vyšehrad. Die Altstadt hat sich nach und nach und ohne jegliche Planung entwickelt – Kaufleute aus verschiedenen Teilen Europas sind zusammengekommen, haben später kleine Stadtviertel gebildet, über deren Existenz man heutzutage nur noch rätselt. Die romanischen Häuser wurden mit der Zeit in den gotischen Stil umgebaut, aber bei vielen heutigen Häuser ist bis heute der romanische Ursprung erhalten geblieben. Schön ist es als Beispiel am „Dům pánů z Kunštátu (Haus der Herren aus Kunštát) zu sehen, oder an den für die Öffentlichkeit zugänglichen unterirdischen Räumen des Restaurants im Hotel Rott am Kleinen Ring.

Die verschiedenen Gesichter der Altstadt
Die Gassen der Altstadt schlängeln sich häufig, falls Sie zum ersten Mal durch diese laufen, werden Sie sich womöglich verlaufen. Manche Häuser haben bis heute ein sichtbares gotisches Gesicht, andere haben im Laufe der späteren Jahrhundert eine andere Fassade bekommen: Renaissance, Barock, Klassizismus, sogar auch Neorenaissance – das berühmte Haus bei Rott hat sein Neorenaissance-Aussehen nach dem Muster seines Renaissance Vorgängers bekommen. Heute kann man hier sogar eine Unterkunft bekommen, da aus dem berühmten Eisenladen ein Hotel entstanden ist und so hat man die einzigartige Möglichkeit, die Prager Geschichte am eigenen Leib zu spüren. In jedem Fall ist die Altstadt eine ideale Basis um den historischen Kern von Prag zu erkunden, von hier aus ist es überallhin nicht zu weit, man ist im Herzstück des ganzen Geschehens. Nur hier den ganzen Tag hier zu verbringen ist ganz einfach – wenn Sie zu Ihrem Ausflug auch Josefov (ehemaliges jüdisches Stadtviertel) dazufügen, werden Sie sich auf keinen Fall langweilen. Die Welt der mittelalterlichen Stadtbürger war voll mit der Gotteshingabe und der Freude am relativen materiellen Wohlbefinden verbunden, was beides durch Architektur und Kunst großartig vermittelt wurde.
Tag Drei – Prager Burg und Kleiner Ring
Der dritte Weg wird uns durch die ältesten Teile von Prag führen, Orte, wo die slawischen Familien deren Wohnsitz und das Christum angenommen haben und begannen, in der Umgebung zu regieren. Irgendwann in den Jahren 882 – 884 n. Chr. ist auf dem Hügel oberhalb von Moldau die erste Kirche entstanden, die der Jungfrau Maria geweiht wurde. Diese wurde durch den Přemyslidenfürsten Bořivoj errichtet. Die Reste dieses Gottes Hauses sind sehr gut in der Passage zwischen dem ersten und dem zweiten Burghof der Prager Burg zu sehen. Nicht weit weg von hier wurde das erste christliche Kloster im Land gebaut –Benedikts Fundation?? um das Georgskloster herum. Seit der Zeit, wo die Přemysliden sich hier angesiedelt haben, sind diese Orte der Sitz der tschechischen Monarchen und Regenten Symbolisch kann man hier die ganze Stadt überblicken, die schon lange nicht mehr nur aus den ursprünglichen drei Teilen besteht, und mit dem bloßen Augen schwer zu überblicken ist. Hier endet unser Weg entgegen des Zeitflusses…

The author of the article and the manager of the hotel in one has many years experience with writing texts, she has been working as a free-lance journalist contributing to different Czech daily newspapers and other periodics of all kinds. She has spent a part of her career working as a city guide, and her articles are therefore providing a highly informed insight of a person, who was not only born in Prague, but who has crisscrossed the city streets countless times, has read hundreds pages of literature about Prague, and who constantly strives to contribute to the good reputation of the city from her todays workplace. Hopefully with a success…